Die Rückkehr des Wolfes: Ein Erfahrungsbericht aus dem Kreis Wesel
GW 954f – so lautet die offizielle Bezeichnung der seit Mitte des letzten Jahres im Kreis Wesel standorttreuen Wölfin. Nach vermehrten Nutztierrissen, die dieser Wölfin durch genetischen Nachweis zugeordnet werden konnten, wurde im Oktober 2018 mit dem „Wolfsgebiet Schermbeck“ das erste Wolfsgebiet in Nordrhein-Westfalen eingerichtet. Große Teile des knapp 1.000 Quadratkilometer großen Gebietes befinden sich im Kreis Wesel. Der Kreis ist traditionell stark von einer Weidenutztierhaltung geprägt, der sowohl bei der Landschaftspflege als auch beim Hochwasserschutz eine große Bedeutung zukommt. Mit knapp 10.000 Tieren sind die Hälfte aller gemeldeten Schafe aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf hier verortet. Der Kreis Wesel befindet sich seit der Rückkehr des Wolfes in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite wird die Rückkehr des Wolfes, der dem höchsten europäischen Artenschutz unterliegt, begrüßt. Auf der anderen Seite stehen die von Wolfsrissen betroffenen Nutztierhalter*innen, denen es auch mit dem Wolf möglich sein muss, weiter zu existieren.
Der Wolf ist da
Zwischen August und September 2018 häuften sich die Meldungen von Nutztierrissen im Kreis Wesel, schwerpunktmäßig in den Gemeinden Schermbeck und Hünxe. Das zuständige Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) konnte bis Ende September insgesamt 23 Risse von Nutztieren einem Wolf zuordnen. Dabei gelang den Experten vom Senckenberg Institut in Gelnhausen Genmaterial einer Wölfin mit der Kennung GW954f zu isolieren und somit den ersten standorttreuen Wolf in Nordrhein-Westfalen nachzuweisen.
Dies nahm das LANUV zum Anlass, im Weseler Kreishaus bisherige Erkenntnisse zu präsentieren. Neben Mitarbeitenden der beim Kreis von der Thematik Wolf berührten Fachdienste (u.a. Naturschutz und Umwelt) waren Vertreter der Biologische Station, des Regionalforstamts Niederrhein, des RVR, der Thyssen-Vermögensverwaltung und der von Nagell'schen Forstverwaltung als größere Waldbesitzer im betroffenen Landschaftsraum eingeladen. Gleichzeitig wurden auch die aktuelle „Förderrichtlinie Wolf“ des nordrhein-westfälischen Wolfmanagementplans, die die Entschädigung von nachgewiesenen Nutztierrissen durch den Wolf regelt, sowie das laufende Wolfsmonitoring vorgestellt und erläutert. Gegen Ende des Termins wurde auf die geplante, baldige Einrichtung eines „Wolfsgebiets Schermbeck“ hingewiesen, als Termin hierfür wurde der 1. November 2018 anvisiert.
Zeitgleich zu diesen „im Hintergrund“ laufenden Besprechungen und Vorbereitungen zwischen den Behörden lief die Presseberichterstattung zu den nachgewiesenen und vermuteten Wolfsrissen bereits auf Hochtouren. Das Informationsbedürfnis der Bevölkerung war enorm und schien durch die von offiziellen Stellen verbreiteten Fakten nicht befriedigt werden zu können. Die Untersuchungen für einen genetischen Nachweis des Senckenberg-Instituts dauern in der Regel mehrere Wochen, bevor ein Ergebnis feststeht. Das Gefühl der Bevölkerung, nur schleppend über Wolfsrisse informiert zu werden, ist durchaus nachvollziehbar. In der Folge organisierten sich Bürgerinnen und Bürger selbst und luden zu teilweise öffentlichkeitswirksam inszenierten Informationsveranstaltungen unter Beteiligung sowohl anerkannter als auch selbsterklärter Wolfsexperten ein. So fand eine dieser Veranstaltung auf einem Schermbecker Spielplatz statt, in dessen Sichtweise ein gerissenes Schaf gefunden worden war. Zum Zeitpunkt der Veranstaltung liefen die Untersuchungen zum genetischen Nachweis dieses Falles noch. Auf diese Weise standen plötzlich verschiedene und sich teilweise deutlich widersprechende Aussagen im Raum und auch vermeintlich verhärtete Fronten zwischen Umweltschützern und Tierhaltern.
Der Umgang mit dem Thema Wolf forderte von der Kreisverwaltung Wesel bereits einen hochsensiblen Umgang, noch bevor das Wolfsgebiet eingerichtet wurde. Gemeinsam mit dem LANUV wurde vereinbart, alle Anfragen zum Wolf dorthin weiter zu leiten.
Ausweisung des Wolfsgebiets im Oktober 2018
Am 21. September 2018 informierte die Pressestelle des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz NRW (MULNV) die Kreisverwaltung darüber, dass das Land NRW sein erstes Wolfsgebiets im Oktober 2018 einrichten und dies vor Ort in Schermbeck verkünden werde. In einem Telefonat zwischen Landrat Dr. Müller und dem Staatssekretär Dr. Bottermann wurde vereinbart, dass für eine Akzeptanz des Wolfes in NRW neben einer guten Kommunikation insbesondere eine schnelle und einfache Unterstützung der betroffenen Weidetierhalter erforderlich sei.
Im Rahmen einer Presseveranstaltung des MULNV zur Wolfssituation in NRW in Düsseldorf am Vormittag des 1. Oktober 2018 verkündete Umweltministerin Ursula Heinen-Esser die Ausweisung des ersten „Wolfsgebiets NRW“ noch am gleichen Tag. Das etwa 958 Quadratkilometer große „Wolfsgebiet Schermbeck“ umfasst einen bedeutenden Anteil des Naturparks Hohe Mark mit seinen ausgedehnten Wäldern und angrenzenden Kulturlandschaften. Die genetischen Nachweise des LANUV NRW zeigten, dass es sich bei der standorttreuen Wölfin um ein Jungtier aus einer Wolfsfamilie nahe dem niedersächsischen Schneverdingen handelt.
„Dass es im Kreis Wesel einen Wolf gibt, haben wir ab dem Frühjahr 2018 vermutet, bestätigt wurde dies dann im Frühsommer durch das LANUV. Nach Rücksprache mit dem LANUV hatten wir für den 1. November mit der offiziellen Einrichtung des Wolfsgebiets gerechnet. Die Verkündung des Ministeriums am 1. Oktober hat uns ehrlich gesagt überrascht und auch ein Stück weit überrumpelt“, so Dr. Ansgar Müller, Landrat des Kreises Wesel. „Zu diesem Zeitpunkt war uns als Kreisverwaltung noch gar nicht bewusst, was auf uns zukommen und wie viele Ressourcen das Thema Wolf noch binden würde.“
Am Abend des 1. Oktober 2018 fand die erste offizielle Informationsveranstaltung des LANUV für Bürger*innen im Kreis Wesel statt. In einem Saal in Schermbeck-Gahlen präsentierten Dr. Thomas Delschen (Präsident LANUV), Dr. Georg Verbücheln (Leiter der LANUV-Abteilung für Artenschutz) und Dr. Matthias Kaiser (Fachbereichsleiter für Artenschutz LANUV und Leiter der Wolfs-Arbeitsgruppe in Nordrhein-Westfalen) aktuelle Zahlen, Daten und Fakten zur standorttreuen Wölfin und dem Wolfsgebiet. Ähnlich wie bei der Veranstaltung des MULNV war der Kreis Wesel zwar informiert, aber nicht aktiv beteiligt. Neben Klaus Horstmann, Fachdienstleiter Naturschutz, Landwirtschaft, Jagd, Fischerei beim Kreis Wesel, und anderen Verwaltungsmitarbeiter*innen nahm auch die Pressesprecherin des Kreises Wesel, Anja Schulte, an der Informationsveranstaltung teil.
„Die Debatte, die sich dort teilweise schon während der Präsentationen zu Nachweisen und Wolfsmonitoring des LANUV entwickelte, war emotional stark aufgeladen“, so Schulte. „Neben Müttern, die Angst um ihre Kinder hatten, kamen Schafhalter zu Wort, die sich durch die Wölfin in ihrer Existenz bedroht fühlten. Einzelne Personen forderten, mehr oder minder maßvoll formuliert, die sofortige Entnahme, also Tötung des Tieres. Demgegenüber wurden auch Stimmen von Naturschützern laut, die noch nicht durch genetischen Nachweis zugeordnete Risse pauschal Hunden zuschrieben. Ich hatte das Gefühl, dass bis zum Ende der Veranstaltung kaum Unsicherheiten in der Bevölkerung ausgeräumt werden konnten.“ Und doch, so Schulte weiter, sei der Informationsgehalt der Veranstaltung enorm gewesen. „Das LANUV hat sein neues und umfangreiches Informationsportal www.wolf.nrwvorgestellt. Dort kann jeder tagesaktuell erfahren, wo Risse gemeldet wurden und wie der jeweilige Bearbeitungsstand zu den genetischen Nachweisen ist.“ Darüber hinaus werden auf der Seite auch durch Sichtung, Kot- oder Urinspuren bestätigte Wolfsnachweise zeitlich und räumlich erfasst. Zusätzlich finden sich dort Informationen zur Biologie und zum Verhalten von Wölfen, die aktuelle Förderrichtlinie und Kontaktdaten der lokalen und regionalen Wolfsberater*innen. Bei den gemeldeten Nutztierrissen kann zudem nachverfolgt werden, welche Risse einem Wolf, evtl. sogar einem bekannten Individuum, zugeordnet werden konnten. Auch Falschmeldungen werden dokumentiert und kategorisiert.
Einrichtung einer AG „Wolfsgebiet Schermbeck“
Mit Schreiben und Erlass vom 11.10.2018 forderte das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (MULNV) den Kreis Wesel dazu auf, eine Arbeitsgruppe „Wolfsgebiet Schermbeck“ zeitnah einzurichten, durchzuführen und zu moderieren. Aus welchen Beteiligten die AG bestehen sollte und welche Themen behandelt werden sollten, wurde hierbei dem Kreis Wesel überlassen. „Von einem Moment auf den anderen waren wir nun für ein Thema zuständig, das wir bisher nur beobachtet und begleitet hatten“, erinnert sich Klaus Horstmann, Fachdienstleiter für Naturschutz, Landwirtschaft, Jagd, Fischerei beim Kreis Wesel. Helmut Czichy, zuständiges Vorstandsmitglied beim Kreis Wesel, stellt dazu fest: „Die enge Einbindung traf den Kreis Wesel vollkommen unerwartet und beansprucht erhebliche Personalressourcen, die für andere Aufgaben vorgesehen waren.“ „Wenn man es genau betrachtet, haben wir seit der offiziellen Ausweisung als Wolfsgebiet im Fachbereich Naturschutz, Landwirtschaft, Jagd und Fischerei viele andere Themen im Artenschutz nicht mehr zufriedenstellend bearbeiten können. Der Wolf und alles, was damit zusammenhängt, war vom einen Moment auf den anderen unser Arbeitsschwerpunkt“, stellt Klaus Horstmann rückblickend fest. Czichy führt aus: „Vor allem die Einrichtung der AG Wolfsgebiet ohne konkrete Vorgaben oder Strukturen hat uns vor Herausforderungen gestellt: Was sollte der Inhalt sein und vor allem: Welches Ziel, welchen Sinn und Zweck sollte diese AG verfolgen? Klar war nur, dass wir uns nicht an politischen Diskussionen beteiligen wollten, sondern vor allem den Herdenschutz sowie die Deichbeweidung in den Vordergrund stellen.“
Zur ersten Sitzung der AG Wolfsgebiet Schermbeck Ende November 2018 waren rund 40 Vertreterinnen und Vertreter, unter anderem des Ministeriums, des zuständigen Landesamtes, der betroffenen Kreise, Städte und Gemeinden sowie von Tierzuchtvereinen und Landwirtschaftsverbändensowie der Jägerschaft im Kreis Wesel eingeladen. Ziel der Sitzung war es, das Format der AG zu konkretisieren und wesentliche zu erörternde Fachthemen zu identifizieren. Alle Teilnehmer*innen kamen in der sehr sachlichen Diskussion darin überein, dass die Schafhaltung enorm wichtig für die Landschaftspflege, die Biodiversität und den Hochwasserschutz im Kreis Wesel ist. Von den etwa 20.000 Schafen in Regierungsbezirk Düsseldorf werden knapp 10.000 Schafe im Kreis Wesel gehalten, dazu kommen noch 850 Ziegen. „Uns war es besonders wichtig, mit den unmittelbar betroffenen Berufsschäfer*innen einen schlagkräftigen Plan auszuarbeiten, der sowohl Artenschutz als auch Weidetierhaltung angemessen berücksichtigt“, so Horstmann. Als Ergebnis der ersten Sitzung wurden zunächst zwei Unterarbeitsgruppen zu den Themen "Verbesserung der Förderbedingungen für Berufsschäfer" und "Herdenschutzmaßnahmen auf beweideten Deichen" gebildet. Aufgabe dieser ist es nun, konkrete Lösungsansätze zur Vermeidung erheblicher Belastungen und für die praktische Umsetzung vor Ort zu erarbeiten. Eine Vorgehensweise, die auch Landrat Dr. Ansgar Müller begrüßt: „Durch die konsequente Schafbeweidung erhalten die Hochwasserbanndeiche im Kreis Wesel mit einer Gesamtlänge von ca. 70 Kilometern dauerhaft eine für den Hochwasserschutz erforderliche stabile Grasnarbe. Die üblicherweise empfohlenen Herdenschutzmaßnahmen sind auf Deichen allerdings nicht zuletzt durch die gleichzeitige Nutzung durch Fahrräder und Hundehalter*innen äußerst problematisch. Der Artenschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und darf nicht allein zu Lasten der Tierhalter gehen. Die Schafhalter*innen im Kreis Wesel betreiben in erster Linie Naturschutz und Landschaftspflege. Auch für den Hochwasserschutz sind sie im Rahmen der Deichpflege unverzichtbar. Soweit es dem Kreis Wesel möglich ist, werden wir hier versuchen, mit allen Seiten vereinbare Lösungen zu finden.“ Die betroffenen Deichverbände wurden in die Arbeit der AG mit eingebunden. Durch die konstruktive, partnerschaftliche und offene Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure konnten bereits erste gute Ergebnisse erzielt werden.
Appell des Kreistages an die Landesregierung NRW und die Bundesregierung
Die im Wolfsmanagementplan des Landes NRW enthaltene Förderrichtlinie Wolf trat bereits im Frühjahr 2016 in Kraft. Aber erst die dauerhafte Ansiedlung einer Wölfin in Nordrhein-Westfalen zeigte, dass Theorie und Praxis auch im Rahmen der Förderrichtlinie erst noch zusammen geführt werden mussten. „Auf Grundlage der Ergebnisse der ersten Sitzung der AG Wolf haben wir die Idee entwickelt, einen Appell zur Verbesserung der Förderrichtlinien zu formulieren“, so Helmut Czichy. Vor allem die durch das Aufstellen eines wolfsicheren Herdenschutzes zusätzlich entstehenden Arbeitsstunden sind bisher nicht förderfähig. Ein weiteres Problem sehen die Tierhalter*innen in der Haftung und der Nachweispflicht bei durch den Wolf verursachten Tierausbrüchen. Diesen und anderen noch offenen Fragen in Bezug darauf, wie den Weidertierhalter*innen ein Leben mit dem Wolf im Kreis Wesel ermöglicht werden kann, nahmen die Mitglieder des Weseler Kreistags zum Anlass, um am 13. Dezember 2018 einen einstimmigen Appell an die Landesregierung NRW und die Bundesregierung zu richten. In dem Appell fordern die Politiker*innen unter anderem, dass „die Belastungen für die im Wolfsgebiet Schermbeck betroffenen Tierhaltungen minimiert und die wichtige umwelt- und gesellschaftspolitische Aufgabe der Weidetierhaltung im Offenland unterstützt und langfristig erhalten werden.“ Eine weitere Forderung beinhaltet die vollständige Kostenübernahme von Präventions- bzw. Herdenschutzmaßnahmen, inklusive der Vergütung der zusätzlichen Unterhalts- und Arbeitskosten. Darüber hinaus sollen die Fördermöglichkeiten auf weitere betroffene Tierarten ausgedehnt werden.
Der „böse“ Wolf in der Öffentlichkeit
Obwohl die Zuständigkeiten beim Themenkomplex „Wolf“ auf Ebene des Landesamtes und des Ministeriums liegen, ist der Kreis Wesel als Gebietskörperschaft im Wolfsgebiet betroffen und nicht zuletzt als Untere Naturschutzbehörde für den Artenschutz verantwortlich. Aus diesen und anderen Gründen wurde die mediale Aufarbeitung der Wölfin GW954f im Kreis Wesel vor allem von der Pressestelle aufmerksam beobachtet, dokumentiert und an die entsprechenden Bereiche in der Kreisverwaltung weiter geleitet.
„Die Art und Weise der Presseberichterstattung und vor allem der veröffentlichten Leserbriefe machte innerhalb von Tagen deutlich, wie tief die Angst vor dem ‚bösen Wolf‘ im kollektiven Gedächtnis der Bürger*innen verankert ist“, so Pressesprecherin Anja Schulte. Landrat Dr. Angsar Müller hatte im Oktober 2018 im Rahmen eines vor Ort Termins in Schermbeck die Wölfin auf den Namen „Gloria von Wesel“ getauft. „Zum einen“, so Dr. Müller, „sollte dadurch die sperrige Kennung GW954f umgangen werden. Zum anderen hatte ich gehofft, dass der Name einen Beitrag dazu leisten würde, die Akzeptanz gegenüber Glorias Ansiedlung im Kreis Wesel zu erhöhen. Es ging auch darum, den Menschen deutlich zu machen, dass es sich bei Gloria um ein Lebewesen handelt.“ Pressesprecherin Anja Schulte dazu: „Auch wenn das Echo auf den Namen ‚Gloria‘ für die Wölfin zunächst verhalten war - so wurde z. B. der Vorwurf laut, die ‚Bestie verharmlost‘ zu haben schnell laut - haben viele Medien ihn mittlerweile übernommen.“ Schulte führt weiter aus: „Das aufgrund der zeitaufwendigen genetischen Nachweise entstandene Informationsvakuum von mehreren Wochen nach jedem neuen Riss wurde fast umgehend von zum Teil selbst ernannten Wolfsexperten gefüllt. In ihren Argumenten für und wider den Wolf verschärfte sich der Ton erschreckend schnell.“ Statt Antworten und wissenschaftlich untermauerten Erkenntnissen über den Wolf kamen so Mutmaßungen, die als Fakten dargestellt wurden, in Umlauf und verbreiteten sich auch über die sozialen Medien schnell. Vor allem bei neuen Nutztierrissen, (vermeintlichen) Sichtungen oder auch dem ersten Foto von der Wölfin machten Spekulationen die Runde. Dennoch: Abseits der öffentlichen Berichterstattung stand der Kreis Wesel im ständigen, fachlichen Dialog insbesondere mit betroffenen Berufsschäfer*innen.
Ausblick für den Kreis Wesel
Vor allem in der anfänglichen Phase sich häufender Nutztierrisse hat die Rückkehr des Wolfes die Kreisverwaltung Wesel „kalt erwischt“. Nach 180 Jahren ohne das größte europäische Raubtier müssen auch Behörden erst Mittel und Wege finden, mit dieser komplexen Situation umzugehen. Strategien mussten und müssen auch weiterhin erst mühsam entwickelt, abgestimmt und erprobt werden. Der durch das LANUV erstellte Wolfmanagementplan NRW bietet zwar eine Basis, auf der eine Kreisverwaltung aufbauen und an der sie sich orientieren kann, aber es braucht Zeit und Erfahrung, um Theorie und Praxis zueinander zu führen. Mittlerweile, knapp vier Monate nach der Einrichtung des Wolfsgebiets Schermbeck, hat die Weseler Kreisverwaltung bereits viele Erfahrungen gesammelt und kann diese in ihr aktuelles und zukünftiges Handeln einfließen lassen. Die zuständigen Stellen auf verschiedenen behördlichen Ebenen wie Ministerium, Landesamt und Kreis arbeiten partnerschaftlich und unterstützend beim Thema Wolf zusammen.
Der Kreis Wesel strebt weiterhin eine offene und umfassende Information und Kommunikation zum Wolf an. Dafür sind unter anderem Seminare zum Aufbau von wolfssicheren Herdenschutzzäunen geplant. Darüber hinaus entstehen aktuell Netzwerke, die betroffenen Tierhalter*innen schnell und unkompliziert Unterstützung bieten können. „Wir haben unsere Erfahrung mit dem Wolf zu großen Teilen mühselig machen und sammeln müssen“, so Klaus Horstmann über die letzten Monate. „Andere sollen es da leichter haben. Der Kreis Wesel teilt sehr gerne seine gewonnene Erfahrung und bietet kommenden Wolfsgebieten und Landkreisen seine Hilfe an. Wir stehen als Ansprechpartner zur Verfügung und helfen gerne weiter, wo es uns möglich ist.“ Landrat Dr. Ansgar Müller fasst zusammen: „Der Wolf ist auch in Nordrhein-Westfalen wieder heimisch geworden und wir Menschen müssen und sollten uns auf ein Leben mit ihm einstellen.“
Autorinnen: Anja Schulte und Corinna Giesen